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Im Geiste frei

Vol. 5

Wir sind die Geschichte, die wir selbst schreiben. Ein offenes Buch, in unseren Händen. Die Füße, fest auf dem Boden der Tatsachen. Den Kopf über den Wolken, sitzen wir im Auge des Taifuns. Die Welt dreht sich so schnell. Und während unsere Hände noch versuchen etwas zu greifen, lässt etwas in uns einfach los. Unser Atem, ein sanftes Rauschen. Zwischen Ein und Aus entsteht die Pause, die wir so dringend brauchen. So verbringen wir die Zeit in unbekannten Räumen. Unser Geist, tief in sie versenkt. Währenddessen atmet uns, was uns am Leben hält. Und die Welt da draußen, so voller Dinge, die kommen und gehen. Lässt sich einfach nichts halten. Außer dem, was sich da in uns bewegt. Also folgen wir dem Strom in die Tiefe, in die Weite; wie ein Taucher im Ozean. Wir hören, das Abbild unser Welt, ein Schallen der Geräusche. Wie ein Abdruck in der Luft, in der es fern hallt. Wir verstehen längst nicht alles, was da so vor sich geht. Unser Geist aber folgt seinem eigenen Weg. Ist weniger kompliziert. Und so für uns – die Welt noch immer vorhanden – sind wir verbunden. Lassen geschehen, das er uns trägt. An jenen Ort, an dem es keine Trennungen mehr gibt.

Am 10. Mai 1933 wurden Bücher verbrannt. Eine unfassbar radikal-grausame Tat der Nationalsozialisten, zu der Heinrich Heines Zitat aus seinem Werk Almansor aus dem Jahre 1821 sehr passend erscheint: “Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.” Denn das Wesen des Geistigen ist es nämlich, jene unbekannten Räume, ja überhaupt das Unbekannte zu ergründen, kennenzulernen. Sich wahrnehmend auf etwas einzulassen, Verständnis zu zeigen. Auf diese Weise entsteht ein Dialog und wir verständigen uns. Wir interagieren. Nutzen Zeichen, Symbole, Sprache und unser Geist – nicht greif-, nicht fassbar – nimmt Gestalt an. Wir können nicht nicht kommunizieren, sagt Watzlawick. Alles an uns ist Medium: Körper, Mimik, Gestik. Unsere gesamte Artikulation. Wir sind, was wir tun: Ein Abbild unserer Gedanken. Immer und zu jeder Zeit erschaffen wir unsere Wirklichkeit. Und zerstören zugleich, immer dann, wenn wir ein Urteil fällen – vielleicht aus Angst oder sonstigen Gründen.

Es ist also an uns, sich das geistige Leben zugänglich zu machen – in jedweder Form, die möglich ist. Denn das geistige Leben zu unterdrücken wäre im Umkehrschluss ein Akt der Provokation, also eine an sich selbst gestellte Herausforderung zu unreflektiertem Handeln. Doch ganz egal in welchen Umständen wir uns auch befinden mögen, im Geiste sind wir stets frei! Oder, wie William Ernest Henley in seinem Gedicht Invictus schreibt: “Iam the master of my fate: Iam the captain of my soul.” Und das, ganz besonders jetzt, in der aktuellen Zeit, in der wir so sehr auf uns selbst zurückgeworfen sind.

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Gedanken

Im Fluss

Vol. 1

Seit Tagen bin ich in meiner Wohnung. Allein. Draußen ächzen die Motoren. Blech an Blech rollt vorbei: Derb, donnernd, dröhnend. Nicht unbedingt als ruhig oder gar schön zu bezeichnen, jener Ort, den ich mir für eine Weile als Bleibe ausgesucht habe. Zeit ist, wie von Einstein gelehrt, nun mal relativ. Und gerade im Moment zieht sie sich wie ein Kaugummi an Chucks. Meine Kontakte nach Außen sind aktuell eher begrenzt und virtueller Natur. Das bedeutet aber nicht, dass meine Freunde vorgetäuscht sind. Im Gegenteil, sie sind ganz real und tatsächlich vorhanden. Bloß nicht hier. Doch auch der Raum ist, wie wir von Einstein wissen, relativ.

Es gibt sie also nicht, jene Grenzen zwischen Da und Dort. Oder Hier und Jetzt bzw. virtuell und real. Sie existieren bloß in unseren Gehirnen. Alles ist im Fluss, heißt es bei Heraklit. Also schreibe ich. Nicht, weil ich Likes will oder brauche. Auch nicht, um noch einen weiteren Text über die Unvermeidlichkeit des Vermeintlichen zu schreiben. Nein, ich schreibe, weil mir das Schreiben einen Ort gibt – voller Fließkraft und Energie. Da bin ich also – als Wort, als Satz, als das Dazwischen im Text. Und wie beim Atmen eröffnet das Dazwischen genau jenen Raum, der die Unendlichkeit in sich birgt: Einatmen. Ausatmen. Innehalten. Lauschen. Die Blechbüchsen rollen indes weiter über den nassen Asphalt. Eine Glocke schlägt. Ihr Hall gleitet auf den Wellen dahin wie ein Surfer über den Ozean. Ich tauche mit ein. Ähnle dabei einem Perlentaucher. Und bilde mir nicht ein, das Wort neu zu erfinden. Vielleicht kleide ich es bloß anders! Oder mich?

Jedenfalls liegt im Akt des Verfassens die Stille greifbar. Die Welt, ihr stetiges Kreiseln, ist auf Pause gedrückt. Der Fluss hingegen setzt seinen Weg zum Meer fort, schriebt Khalil Gibran. Wir sind keine in sich geschlossene Gesellschaft. Kein Stück in einem Akt. Die Hölle, das sind auch nicht die anderen. Auch, wenn bei Satre dazu vielleicht etwas Anderes stehen mag. Wir sind stattdessen die Freiheit, die wir denken. Die Zeit, die wir uns geben. Und der Raum, den wir gestalten. Mit jedem Atemzug, den wir uns geben. Das Ursprüngliche ist unsere Natur: Wie klares, reines Wasser. Nicht die Angst, die zum Dämon wird und uns gefrieren lässt zu Eiszapfen. Mittlerweile hat es aufgehört zu regnen. Einige wenige, übrig gebliebene Tröpfchen perlen sich an der Scheibe, werden zum Prisma für das Sonnenlicht; es bricht und spiegelt sich. Ich kann es greifen. Zumindest meine ich das. Ist halt relativ. Es klingelt an der Tür und während ich sie öffne, öffnet sich auch etwas in mir. Obwohl, oder vielleicht auch, weil ich am Ende des Tages mal wieder ein gemeinsames, virtuelles Essen unter Freunden haben werde.