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Gedanken

Zwischen den Zeilen

Vol. 8

„Hier zwischen den Stühlen und den langen Korridoren des Nachmittagslichts den langen langsamen Rosenschatten vor einer weißen Wand tastend nach einem Plan einem Ort“ (Ulla Hahn, So offen die Welt)

Ich sitze in Hamburg, in einem Café… meinem Lieblings-Literatur-Café. Jenes, an der Grindelallee. Ganz in der Nähe der Uni. Vor mir steht ein Cappuccino mit Keks. Die Sonne scheint, wirft Schatten auf den Asphalt. Lautlos. Und dennoch nehme ich Geräusche wahr. Entfernt. Stimmen. Klänge. Eine Tür, die sich öffnet und schließt. Schritte auf dem warm wirkenden Holzboden. Halt der typische Kaffeehaus-Sound. Eine Frau sitzt vor einem Bücherregal, beim Kamin. Neben ihr ein Mann, der Zeitung liest. Die Servicekraft hat die Arme verschränkt.

Alles wirkt so surreal, wie eingefroren.

Worauf warten die bloß alle?

Ich schreibe: Geschäftig. Hektisch. Atemlos. Mein Herz wummert, als wolle es sich Gehör verschaffen. Ich ignoriere es. Lasse es links liegen. Das funktioniert gut. Meine Finger rasen indes weiter über die Tastatur, als wollten sie etwas festhalten. Alles andere scheint wie angehalten. Die Welt dreht sich ein bisschen langsamer um mich herum. Irgendwer hat an der Uhr gedreht. Zeit ist relativ, heißt es.

Bloß deine nicht. Deine ist abgelaufen.

Und das tut weh. Macht mich rasend. Vor Schmerz. Vor Wut. Wobei ich weder das eine, noch das andere spüren kann. Nicht spüren will. Darin bin ich ziemlich gut. Genauso wie im Weitermachen. Ordentlich rennend. Geflissentlich rasend. Als wäre nichts geschehen. Immer weiter, auf die Betonwand zu.

Wam!

Kurz vor dem Aufprall halte ich dann aber doch inne. Und den Atem an. Lausche genauer. Höre das Rauschen. Und die Lebendigkeit um mich herum. Erlebe den Moment. Merke, dass sich die Erde weiterdreht. Und spüre den bitteren Schrei. Jener, der in mir steckt. Ebenso tief, wie fest. Und berstender, als mein Herz an Heftigkeit fassen kann.

Wumm!

Seit Tagen.

Seit Wochen.

Eigentlich sind es Monate.

Nichts im Vergleich zu der Zeit, die ich dort verbracht habe. In Hamburg. In diesem Café. An der Uni. Und überhaupt. Ein ganzes halbes Leben lang… zusammen mit dir.

Langsam setzt mein Atem wieder ein. Ganz ruhig. Besonnen. Bedacht. Sitzt du mir plötzlich am Tisch gegenüber. Hörst mir zu, wie ich lese. Mit einer Ruhe, die selbst den Fels in der Brandung erzittern lässt. Lächelst dein typisches Alles-ist-gut-Lächeln, für das ich dich meistens beneide. Oder dir manchmal einfach den Hals umdrehen kann. Und ich weiß, du bist mit mir. Im Leben, wie in der Story. Und mir wird klar: Nicht die anderen sind es, die warten.

Darauf, aus der endlos Schleife befreit zu werden.

Darauf, dass sich das Leben weiterdreht.

Darauf, dass verdammt nochmal endlich die Tür aufgeht.

Darauf, dass DU einkehrst.

Doch das wird nicht passieren. Zumindest nicht in dieser Realität. Denn heute vor exakt 90 Tagen bist du von uns gegangen. Einfach so und einfach ohne Grund oder Corona-Infektion. Viel zu schnell. Viel zu früh. Viel zu jung. Ohne ein Wort des Abschieds zu hinterlassen. Dazu nämlich ist es nicht mehr gekommen. Fast schon ein bisschen typisch für dich. Genau wie deine Sunshine-Haltung. Ehrlich man, ich kenne sonst niemanden, der pfeifend und singend durch die Uni-Gänge schreitet, den Swing im Ohr und jede Menge Comics im Kopf. Mit diesem Gang: Federnd-geschmeidig, wie eine grinsend-philosophierende Katze auf Dope… Bonsche verteilend! Natürlich. So jedenfalls habe ich dich kennengelernt; damals, als ich mein Studium angefangen habe an der Hamburger Universität. Du hast Hamburg für mich zu einem Ort gemacht, den ich heute noch immer meine Heimat nenne.

Du und die Uni!

Du und Hamburg!

Eine Enität. Für dich. Für mich.

Du und tot!

Und die Uni-Korridore schweigend.

Ganz ehrlich, das ist schräg. Sehr sogar. Wie du wohl darüber denkst?! Das habe ich mich so oft gefragt. Wer wird mir jetzt eine Antwort geben?

Immer dann, wenn du über etwas schreibst und vorliest, dann bist du verbunden, hast du mal zu mir gesagt. Ich höre deine Worte, als wärst du noch da. Begreife auf einmal, ganz so als wäre in mir ein Licht angegangen. Und während ich diese Zeilen schreibe, rollt mir etwas über die Wangen, das mein Gesicht befeuchtet. Im Geiste aber sitze ich in einem Café. In unserem Lieblings-Literatur-Café. Dort, wo alles angefangen hat: Das mit uns und den Lesungen. Und überhaupt: Meine Liebe zu dir. Dort also sitze ich gerade und schreibe… dir. Dann nämlich lebst du weiter. In mir. Und für die Ewigkeit, bis wir uns Wiedersehen. Da oder dort. Und hier, zwischen den Zeilen.

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Anschein von Normalität

O du runde Welt, mein Herz ist so klein wie ein Stückchen Kohle. Ist es weiträumiger als du? Ich weiß, wie begrenzt du bist!

Das Auto zitterte, und ich dachte, wie eng begrenzt die Welt doch ist. Mir war ganz beklommen zumute, ich bekam kaum Luft. Heute wurden Männer im Fernsehen gezeigt, die aus ihren Wohnungen in Baida geführt wurden, einem Dorf, das immer noch von der Armee und der Sicherheit umstellt ist. Auf dem Platz mussten die Männer sich auf den Boden legen, die Hände wurden mit dünnen Plastikschnüren zusammengebunden, die scharf wie Messer in die Haut schnitten. Das Bild ließ mich nicht mehr los. Die Gesichter waren gegen den Asphalt gedrückt, die Rücken zum Himmel gekehrt

(Samar Yazbek (2013): Schrei nach Freiheit. Bericht aus dem Inneren der syrischen Revolution. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, S. 40).

Vol. 6

Mir ist, als würden alle Farben verschwinden. Zumindest für den Augenblick. Ein Zeitraffer liegt über der Szenerie. Wenigstens meine ich das. Ich lausche. Es ist so still im Raum, als hätten wir aufgehört zu atmen. Eine fallende Stecknadel wäre gewiss beim Aufschlag zu hören zu gewesen. Einzig wahrzunehmen, diese Stimme: Klar, sachlich, ruhig.

Warum nur sitze ich hier? Was hat mich bloß dorthin geführt? In jenen Raum, der ganz plötzlich ganz klein zu werden scheint – kleiner, als meine Hand an Größe packen kann. Wohl, weil ein jeder von uns gekommen war, um zu verstehen. Verstehen, wie es nur zu diesem Blutbad hatte kommen können. Neben mir sitzen meine Freunde. Sie kommen aus Syrien, hören zu. Nicht minder gebannt. Genau wie ich und der Rest, der Anwesenden. Die Stille im Raum ist fühlbar angefüllt von Bildern. Und ein Krieg greifbar. Einer mehr, den ich nicht fassen kann. Darüber liest die charismatische Autorin, Samar Yazbek, und erzählt uns von ihrer Flucht aus Syrien, die sie eindrücklich in ihrem Buch beschreibt. Es entstehen Fragen in mir: Was wohl haben meine Freunde auf ihrem langen Weg von Syrien nach Deutschland erlebt? Und was dort vor Ort?

Warum also sitze ich hier – ebenso einfach, wie schlicht zu beantworten: Um eine Antwort auf die Frage zu finden, die mich seit vielen Jahren bewegt: Wie wollen wir leben in einer Welt, die Samar Yazbek aus ganz bestimmten Grund als eng begrenzt empfindet? Einer Welt, in der wir Menschen doch eigentlich alle zusammenleben und uns als Teil verstehen. Und doch passieren Dinge, die das Herz treffen und es zu einem Stückchen Kohle werden lassen. Was ist nur passiert? Unter anderem davon erzählt die Autorin und antwortet auf die Fragen der deutschen Übersetzerin zur Lage in Syrien. Sie spricht darüber, dass das Regime Baschar-al-Assads schon immer als eines der repressivsten in der arabischen Welt gegolten hat (siehe Einband des oben genannten Buches). Für diesen und andere Gedanken musste sie jedoch ihr Heimatland verlassen und ins Exil flüchten. Dabei hatte der arabische Frühling doch so hoffnungsvoll begonnen.

Später am Abend, nach der Lesung, sitzen wir im Sommergarten des Literaturhauses. Eine sanfte Brise weht samtweich durch die Blätter, fächert sie auf, streift streichelnd über sie hinweg und verfängt sich ein bisschen in meinen Haaren. Ausgelassene Stimmen, Soul und Lachen mischen sich im Lau eines sommerlichen Abends, ganz so als wäre Monet am Werk gewesen. Der Kontrast zum Vorher hätte nicht friedvoller, nicht farbgewaltiger sein können – ganz besonders für meine syrischen Freunde. Und für einen kurzen Augenblick entsteht in uns und um uns herum der Anschein von „Normalität“ – was auch immer das meint. Die Frage, was hinter meinen Freunden liegt, wird in dieser Sommernacht nicht mehr angeschnitten. Die Antwort darauf ist ohnehin ganz einfach und nachvollziehbar: Wer eine Flucht aus seiner Heimat auf sich nimmt, die ihn das Leben kosten kann, der hat sehr gute Gründe dafür. Die Augen sprechen ohnehin aus, was nicht gesagt werden kann. Und Samar Yazbek hatte eben erst darüber gelesen. In jenem kurzen Augenblick aber, waren wir schlicht und einfach vier junge Menschen, die sich als Teil einer Welt verstanden, die aus den Fugen geraten war. Doch für den Moment war die enge Welt weit, das Leben normal und wir, einfach so, als Teil davon, miteinander verbunden.

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Im Geiste frei

Vol. 5

Wir sind die Geschichte, die wir selbst schreiben. Ein offenes Buch, in unseren Händen. Die Füße, fest auf dem Boden der Tatsachen. Den Kopf über den Wolken, sitzen wir im Auge des Taifuns. Die Welt dreht sich so schnell. Und während unsere Hände noch versuchen etwas zu greifen, lässt etwas in uns einfach los. Unser Atem, ein sanftes Rauschen. Zwischen Ein und Aus entsteht die Pause, die wir so dringend brauchen. So verbringen wir die Zeit in unbekannten Räumen. Unser Geist, tief in sie versenkt. Währenddessen atmet uns, was uns am Leben hält. Und die Welt da draußen, so voller Dinge, die kommen und gehen. Lässt sich einfach nichts halten. Außer dem, was sich da in uns bewegt. Also folgen wir dem Strom in die Tiefe, in die Weite; wie ein Taucher im Ozean. Wir hören, das Abbild unser Welt, ein Schallen der Geräusche. Wie ein Abdruck in der Luft, in der es fern hallt. Wir verstehen längst nicht alles, was da so vor sich geht. Unser Geist aber folgt seinem eigenen Weg. Ist weniger kompliziert. Und so für uns – die Welt noch immer vorhanden – sind wir verbunden. Lassen geschehen, das er uns trägt. An jenen Ort, an dem es keine Trennungen mehr gibt.

Am 10. Mai 1933 wurden Bücher verbrannt. Eine unfassbar radikal-grausame Tat der Nationalsozialisten, zu der Heinrich Heines Zitat aus seinem Werk Almansor aus dem Jahre 1821 sehr passend erscheint: “Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.” Denn das Wesen des Geistigen ist es nämlich, jene unbekannten Räume, ja überhaupt das Unbekannte zu ergründen, kennenzulernen. Sich wahrnehmend auf etwas einzulassen, Verständnis zu zeigen. Auf diese Weise entsteht ein Dialog und wir verständigen uns. Wir interagieren. Nutzen Zeichen, Symbole, Sprache und unser Geist – nicht greif-, nicht fassbar – nimmt Gestalt an. Wir können nicht nicht kommunizieren, sagt Watzlawick. Alles an uns ist Medium: Körper, Mimik, Gestik. Unsere gesamte Artikulation. Wir sind, was wir tun: Ein Abbild unserer Gedanken. Immer und zu jeder Zeit erschaffen wir unsere Wirklichkeit. Und zerstören zugleich, immer dann, wenn wir ein Urteil fällen – vielleicht aus Angst oder sonstigen Gründen.

Es ist also an uns, sich das geistige Leben zugänglich zu machen – in jedweder Form, die möglich ist. Denn das geistige Leben zu unterdrücken wäre im Umkehrschluss ein Akt der Provokation, also eine an sich selbst gestellte Herausforderung zu unreflektiertem Handeln. Doch ganz egal in welchen Umständen wir uns auch befinden mögen, im Geiste sind wir stets frei! Oder, wie William Ernest Henley in seinem Gedicht Invictus schreibt: “Iam the master of my fate: Iam the captain of my soul.” Und das, ganz besonders jetzt, in der aktuellen Zeit, in der wir so sehr auf uns selbst zurückgeworfen sind.