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Schlicht: Freiheit.

Vol. 19

Die Leiden des jungen… oder: #LetGoAndDiveInto (Leseprobe)

Hansestadt Hamburg, 29. August 2019

Max,

ich weiß immer noch, dass es weh tat. An sie zu denken tat weh. „Komm, folge mir in meine Welt“, hatte sie gesagt und mir ihre Hand gereicht.

Heute weiß ich: Ihr zu begegnen war unvermeidlich! Genau wie jene Ereignisse, die das erste Treffen nach sich zog. Sie folgten, wie der Schweif dem Kometen. Und rissen mich mit sich hinfort wie ein nachtschwarzer Strudel, in dem ich unterzugehen drohte. Ja, ich weiß noch immer, dass es weh tat. An sie zu denken, tat weh. Tut es noch. Denn das, was folgte, war Schicksal. Es zwang mich zu erkennen, wer ich bin.

Und sie? Die Wände der Häuser vom Regen gesäubert, lief sie durch die Straßen, als wären sie der Golden Pathway ihres Lebens. Sie schien so einfach, voranzuschreiten. Begleitet von einem leisen Rauschen, als fühlte sie einen stillen Song in ihrem Ohr. Sie schien die Angst, die Angst schien sie zu kennen. Und dennoch lief sie weiter voran. Den Grund unter ihren Füßen, kam sie schließlich von dort, wo der Wind stürmend durch die Äste weht. Doch, was wusste ich schon davon?

„Ein Geheimnis bestimmt den Weg, der deine Füße trägt. Sag, hast du kurz Zeit? Dann lass uns reden, über etwas, dass nur wir verstehen. Es könnte den Lauf deiner Welt verändern. Vom Kleinen zum Großen und umgekehrt. Sag, glaubst du auch, dass das nicht der Platz ist, von dem wir träumten? Dann könnte dies der Beginn von allem sein. Und das Ende. Ist das nicht kurios?“, hatte sie zu mir gesagt.

Ihre Augen funkelten silbern und herausfordernd.

Also folgte ich ihr, um mich dem Kernschatten zu stellen.

Tom

Die (Brief-)Novelle umfasst 45 Normseiten, verfasst in moderner Jugendsprache auf Basis von Johann Wolfgang von Goethes Die Leiden des jungen Werther. Der Kernkonflikt des jungen Protagonisten dreht sich um den Umgang mit Tod sowie den damit verbundenen unterdrückten Emotionen, die Entfaltung der eigenen (kreativen) Kräfte und das Streben nach Autonomie. Die insgesamt sechs Kapitel werden mit Zitaten aus Goethes Werther eingeleitet, um die sprachlichen Unterschiede hervorzuheben. Zielgruppe sind Jugendliche (13-17) sowie (junge) Erwachsene. Die Novelle ist Teil einer Reihe, die sich auf Referenzwerke der Klassiker bezieht und ist u.a. für den Einsatz im Bildungskontext in moderner Jugendsprache aufbereitet. Innovativ an der Novelle ist der Bezug zur aktuellen Lebenswelt sowie der zeitlose Stil der klassischen Storyline und die real-authentischen Aussagen von Schüler:innen zum Thema Freiheit.

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Schlicht: Liebe.

Vol. 18

Romeo und Julia… once again! (Leseprobe)

Neuer Fremder

“Geist: In Lebensfluten, in Tatensturm // Wall ich auf und ab, webe hin und her! // Geburt und Grab, // Ein ewiges Meer, ein wechselnd Weben, // Ein glühend Leben. So schaff’ ich am sausenden Webstuhl der Zeit, //und wirkte der Gottheit lebendiges Kleid. Faust: Der du die weite Welt umschweifst, // Geschäftiger Geist, wie nah fühl’ ich mich dir! //Geist: Du gleichst dem Geist, den du begreifst, // Nicht mir!” (Johann Wolfgang von Goethe, Faust I)

Stoßweise atmend, zuckte ihr Körper. Ihre blicklosen Augen, schauten in die Leere. Das Gesicht so bleich, wie ein Leichentuch. Weißer Schaum trat aus ihrem Mund.

»So tu doch was, Rav« Die hysterische Mädchenstimme verlor sich im Nebel.

Mit einem letzten kraftvollen Schlag drückte sich ihr Herz gegen die Brust. Wum. Schon wurde sie von der Dunkelheit verschluckt. Jetzt kam der Tod. Also doch.

***

Freitag. Fünf Tage vorher.

Ein gleichmäßiges Rauschen drang zu ihrem Ohr. Es regnete – und das sehr stark. Und schon seit Tagen. Grau‘ in graue Wolkenfetzen wollten den Blick ins Mai-Blau einfach nicht freigeben. Dicke Tropfen seilten sich wie gelangweilte Regenwürmer von den hohen Fensterscheiben.

Warum regnet es ausgerechnet jetzt so viel, überlegte Li. Dabei wollte sie doch. Aber das ging jetzt nicht. Stattdessen träumte sie sich in ein fernes Land.

In meiner Fantasie, da existiert ein perfekter Ort. Aus Farben, so vielfältig wie der schönste Regenbogen. Ein schillernder Ort aus Diamanten. Inmitten eines Herzens aus Grün. Dort stehe ich. Lasse meine Gedanken auf die Erde regnen. Und blinzle. Irgendwas fort. Schon blickt es sich klarer. Glück zulassen ist eine Kunst, die anmutig achtsamer Lebenskraft bedarf, denke ich. Ergibt das Sinn? Die Blätter des Tanns um mich herum, ein Prisma. Lenken um. Wellenförmig. Ein optischer Effekt. Sieht aus, wie frittierte Sonnenstrahlen. Und ich, ein ruhender Tiger im Gehölz. Bereit, mit dem Wind zu springen. Wenn sich der nächste Schritt zeigt. Aktion und Reaktion – ein Wechselspiel. Das dem Licht gleicht. Weil es über Grenzen reicht. Ist man erst einmal mutig genug. Zu riskieren. Da das Kämpfen heißt. Für die eigenen Ziele. Doch manchmal, da lässt das Leben warten. Dabei wollte ich. Und doch geht’s einfach nicht weiter. Weil Ruhe drin ist. Stille im Herzen heißt aber nicht, dass das Leben eine Pause macht.

Ein Klopfen schreckte die 17-jährige aus ihren Tagträumen. Sie erwachte. Schlagartig kehrte ihr Fokus zurück in den Unterricht. Und ihr Blick wanderte blinzelnd zur Tür. Herein trat die hagere Gestalt des Konrektors. Wie immer trug er seinen dunklen Anzug mit der veralteten Würde eines Lateingelehrten zur Schau. In dem hochgewölbten Klassenzimmer des roten Backsteinbaus an der langgezogenen Allee, wirkte er wie die verblasste Kopie einer Figur aus einem mittelalterlichen Bühnenstück. Nicht ohne Grund hatten ihn die Schüler heimlich Pater Noster getauft.

»Guten Morgen«, sprach Dr. Wagener eintretend. Die freundlich kühle Reserviertheit seiner Stimme füllte den Raum nicht wirklich aus; machte ihn bloß etwas grauer. Wie ein zurückgelassener Regenschirm stand er vor dem Whiteboard. Und warf seinen prüfend musternden Adlerblick aus blassblauen Augen auf die Oberstufenschüler. Einige versteckten sich hinter ihren Tablets; nutzten diese ganz offensichtlich so, wie Captain America sein Schutzschild. Bei seinem Anblick musste Li unwillkürlich an den unzufriedenen Dr. Faust denken und wie Goethe ihn beschrieben hatte:

„Da steh‘ ich nun, ich armer Tor! // Und bin so klug, als wie zuvor; // Heiße Magister, heiße Doktor gar, //Und ziehe schon an die zehen Jahr, //Herauf, herab und quer und krumm, //Meine Schüler an der Nase herum“ //

Herr Wanko, der sympathische Mathereferendar, hielt inne und überließ dem stellvertretenden Schulleiter die Bühne. Der Kontrast zwischen beiden Generationen hätte nicht augenscheinlicher sein können.

»Ich möchte Ihnen Ihren neuen Mitschüler vorstellen«, fabulierte der Konrektor nasal. Und wirkte umso mehr wie ein stocksteifer Gelehrter. Einer, der sich für den Erhalt der guten alten Sitten berufen fühlte.  

Das Rauschen des Regens wurde vom Gemurmel der Schüler unterbrochen. Lis Augen wanderten neugierig geworden abermals zur Tür. Tritt jetzt Mephistopheles auf die Bühne, dachte sie und musste kichern.

»Raven Montag wird ab sofort zusammen mit Ihnen die 12. Klasse besuchen und am Unterricht teilnehmen«, sprach Dr. Wagener und winkte bestimmt. Die Geste wirkte nicht wirklich einladend. Dennoch trat jemand aus dem Schatten des Türrahmes hervor.

Raven? Rabe! Was ist das denn für ein spuki Name? Li warf einen Blick. Und schnappte nach Luft. Ihre Augen weiteten sich. Des Pudels Kern trat in den Raum.

Eine Novelle angelehnt an William Shakespeares Romeo und Julia sowie an Johann Wolfgang von Goethes Faust I. Kernthemen: Fremdenhass, Liebe, Streben nach Autonomie und und Entfaltung der eigenen Potentiale. Geeignet für Leser:innen ab 14 Jahre.

Schlicht: Liebe. (bod.de)

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Schlicht: Magie

Vol. 17

Die Zauberflöte – oder: Ein modernes Märchen über den Zauber der Liebe (Leseprobe)

„O ew’ge Nacht! Wann wirst du schwinden? Wann wird das Licht mein Auge finden? –„

Einst lebte in einem Land ein Prinz. Er war jung und schön, doch sein Herz verschlossen. Wenn er über den Boden schritt, glaubte man, er schwebe. Er war nie ganz da und nie ganz dort. Seine Füße berührten die Erde, doch er spürte den Grund unter ihnen nicht. Wenn er sprach, redete er von Dingen, die er wusste. Das geübte Ohr aber hörte, dass er das Gesagte nicht mit dem Herzen durchdrang. Dabei hätte man meinen können, es sollte ihm an nichts mangeln. Dort, in dem magischen Land der kleinen Leute. Jenen, die die Wiesen und Wälder bewohnten. Sie waren den Menschen ganz nah. Zwischen Sträuchern und Büchen versteckten sich ihre Häuschen. Ganz verträumt, inmitten einem Meer aus Sonnenstrahlen. Und wie es sich für ein so märchenhaftes Reich gehörte, wurde es regiert von einem König und seiner Königin. Sie ritten auf Libellen, würdevoll und stolz. Tag für Tag aufs Neue ritten sie aus und bestaunten ihr schönes Land. Die kleinen Leute grüßten freudig, denn die beiden Monarchen bildeten eine Balance. Alle waren gleichgestellt. Es gab keine Überlegenheit. Ein jeder tat, was er oder sie am besten konnte. Nur der Prinz wusste nicht so recht, was seine Leidenschaft und Stärken waren. Die Freude und das Strahlen, das ihn umgab, nahm er nie ganz wahr. Er ritt auf seiner Libelle über das Land der kleinen Leute, grüßte und sprach mit ihnen. Doch verstehen konnte er ihr Tun nicht wirklich.

Vielleicht wäre das so geblieben, wäre nicht eines Tages etwas geschehen, dass den Lauf der Dinge ändern sollte…

Geeignet für Kinder und Jugendliche ab 8 Jahre.

Schlicht: Magie. (bod.de)